Lars Landers

Kapitel 01

34. KW, Dienstag, 16.00 Uhr

»Guten Tag, Herr Schmidt, nehmen sie bitte Platz.«
»Danke und ebenfalls guten Tag.«
»Machen sie es sich bequem.«
»Hab ich schon.«
»Also gut, Herr Schmidt, darf ich sie zunächst fragen, wie sie auf mich gekommen sind?«
»Telefonbuch.«
»Aha, gut, dann würde ich zunächst gern die Formalitäten erledigen, wenn es ihnen recht ist.«
»Ist recht.«
»Meine Mitarbeiterin, Frau Radow, hat bei der telefonischen Aufnahme Matthias
Schmidt, 49 Jahre, notiert. Ist das richtig?«
»Bis auf das Alter gelogen.«

[Schweigen]

»Aha, wie heißen sie denn wirklich.«

[Schweigen]

»Schönes Zimmer, besonders die Couch gefällt mir, könnte aus einer Filmszene stammen.«
»Danke, noch einmal zurück zu ihrem…«
»Gustav Gans.«
»Sehr witzig.«
»Sie lachen aber gar nicht.«
»Dagobert Duck.«
»Ich verstehe nicht.«
»Ist dir Drögör Gustavson lieber? Sonst belässt du ’s besser bei Schmidt oder einfach Matthias.«
»Ich möchte nicht, dass sie mich duzen.«
»Warum nicht? Ist doch viel vertrauter, kommen wir eher zur Sache. Machen wir gleich auf Verständnis und Nähe, ersparen uns das Vorspiel.«
»Ohne professionelle Distanz zu ihnen geht es nicht.«
»Für dich oder mich?«
»Wollen sie ein Spiel mit mir spielen? Dann verschwenden sie ihre und meine Zeit und zusätzlich ihr Geld.«

[Schweigen]

»Ich duze alle!«
»War das schon immer so?«
»Nein.«
»Könnten sie dann bei mir bitte eine Ausnahme machen?«
»Wieso?«
»Damit es mir in unserem Gespräch besser geht.«
»Hmh.«
»Lassen sie es einfach sacken. Ich lade sie herzlich ein, einmal eine Ausnahme von ihrer Regel zu machen.«
»…Lasse es sacken.«
»Warum wollen sie mir Ihren Namen nicht verraten?«
»Bin abgetaucht.«
»Abgetaucht?«
»Ich möchte nicht gefunden werden.«
»Von wem?«
»Meiner Frau, meinen beiden Töchtern, der Steuerfahndung, die Liste ist lang.«
»Haben sie etwas verbrochen?«
»Du meinst im Sinne von Verbrechen?«
»Sie bitte!«
»Nein, ich habe kein Verbrechen begangen.«
»Warum wollen sie sich dann nicht finden lassen und Ihrer Vergangenheit stellen?«
»Weil ich die Mösen nicht mehr sehen konnte.«
»Was meinen sie mit Mösen?«
»Ich bin, äh, war Gynäkologe.«
»Und?«
»Ich konnte die Mösen eines Tages einfach nicht mehr sehen und habe alles hingeschmissen.«
»Und dann?«
»Bin ich abgetaucht.«
»Abgetaucht?«
»Besteht dein Job darin, ständig meine Wörter zu wiederholen?«
»Nein, aber manchmal tragen Nachfragen zum besseren Verständnis bei.«
»Aha…Na dann…Bin auf die Balearen, habe dort einige Zeit gelebt, ist aber langweiliger, als man denkt...«
»Man oder sie?«
»Der ganze Aussteigermythos ist der letzte Dreck. Ich fand ’s scheiß langweilig. Am heftigsten sind die Rentnerparadiese. Die schuften ihr Leben lang, um von einem Hühnerkäfig im Ruhrpott in einen anderen im Paradies umzuziehen. Ist doch Scheiße.«
»Vielleicht sehen das diese Menschen anders!?«
»Vielleicht, vielleicht können die über den Berg Scheiße auch nicht hinüberblicken.«

[Pause]

»Und dann?«
»Bin zurück.«
»Wo ist zurück für sie?«
»Jetzt bin ich hier, bei dir.«
»Bei ihnen!«
»Klar doch.«
»Also gut, Herr Schmidt, warum sind sie wirklich hier? Was wollen sie von mir?«
»Ich habe niemanden zum Reden, muss Geschwüre loswerden?«
»Geschwüre?«
»Gedankengeschwüre, Wülste, Gedärme, ’ne Menge davon.«
»Interessant, wie sie das ausdrücken…Sie haben gar keinen zum Reden?«
»Ja, ja, kritzeln sie ruhig ordentlich mit. Halt die ganze Fäkalienscheiße fest. Vielleicht wird es dann weniger in mir…Oh, ja…«
»Stört es sie, dass ich mir Notizen mache?«
»Ist dein Job!«
»Ihrer bitte!...Aber zurück zur Frage…«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Das ist so, wenn man abtaucht. Sonst funktioniert die Scheiße doch nicht. Noch nie ’nen Agentenfilm gesehen. Alle Kontakte abbrechen…Meinen letzten, noch verbliebenen Freund hab ich vorher schon verlorn.«
»Warum?«
»Weil ich seine Frau gefickt habe.«
»Ich würde mich freuen, wenn sie eine andere Wortwahl treffen würden.«
»Ich rede immer so.«
»Auch früher, in Ihrem Job?«
»Nein.«
»Warum jetzt?«
»Weil ich abgefuckt bin…Das ganze scheiß Spiel nicht mehr mitmache.«
»Was meinen sie mit abgefuckt?«
»Du wiederholst schon wieder das, was ich sage, aber immer nur als Frage. Krickel ruhig rum, aber wiederhol nicht ständig alles. Das nervt.«
»Ich mache meinen Job, ich lade sie ein, mir da zu vertrauen. Und noch mal, bitte siezen sie mich. Was meinen sie also mit abgefuckt?«
»Darüber möchte ich ja mit dir sprechen.«
»Ihnen!«
[Schweigen]

»Hmh, aber irgendwie sind wir doch fast Kollegen.«
»Wenn sie das Studium der Humanmedizin meinen, ja, ansonsten haben wir völlig andere Richtungen eingeschlagen.«
»Ich bin Mösendoktor und du Kopfdoktor. Wir blicken beide tief rein. Kannste gleich notieren.«

[Schweigen]

»Warum haben sie mit der Frau Ihres Freundes geschlafen?«
»Ich ficke sie alle, ich habe sie alle gefickt.«
»Wen?«
»Frauen. Fotzen!«
»Herr Schmidt, bitte respektieren sie mich und meine Wünsche.«
»Klar doch.«

[Schweigen]

»Warum glauben sie, dass ich nicht die Polizei benachrichtige?«
»Weil du an deine berufliche Schweigepflicht gebunden bist.«
»Die hat Grenzen.«
»Duzen, Fäkalausdrücke und Steuerhinterziehung zählen nicht.«
»Was meinen sie mit Steuerhinterziehung?«
»Schwarzgeld, davon lebe ich. Meine Ex will es bestimmt auch haben.«
»Wie wollen sie mich bezahlen, sind sie noch krankenversichert?«
»Nee, nee, natürlich nicht mehr, wie soll ’n das auch funktionieren? Genau aus dieser schwarzen Kasse, in bar, jedes Mal, auf den Tisch. Ich leg ’s nachher auf ’n Tisch von der Radow.«
»Wissen sie, was ich nehme?«
»Klar, deine Vorzimmertante hat es mir gleich gesagt, weil ich doch keine Krankenversicherung habe.«
»Wie kann ich sie erreichen, z.B. wenn ich einen Termin absagen muss?«
»Gar nicht, dann gehe ich eben wieder.«
»Wie kommen sie darauf, dass es zu einem weiteren Termin kommen wird?
»Wieso nicht?«
»Wir beide müssen in den ersten Sitzungen klären, ob wir miteinander arbeiten können und wollen.«
»Ich will nicht mit dir arbeiten.«
»Sondern?«
»Nur erzählen.«
»Warum sollte ich das auch wollen?«
»Weil du neugierig bist, sehen willst, wohin das führt, weil du dir beweisen willst, wofür du studiert hast, dass du gut bist, weil du jung bist, deine Sache hier noch nicht gut läuft.«
»Sie! Warum soll meine Sache noch nicht gut laufen?«
»Normalerweise bekommt man nicht gleich am nächsten Tag einen Termin. Dein Praxisschild an der Hausfassade ist neu, aber kleiner als das vorherige. Wahrscheinlich hast du den Laden erst kürzlich aufgemacht.«
»Aha, die Zeit ist bald um. Wir müssen zum Ende kommen.«
»Wieso? Draußen wartet niemand, ihre so genannte Mitarbeiterin ging, als ich kam, im Wartezimmer war niemand. Ich zahl auch mehr, hab ’ne Menge hinterzogen.«
»Herr Schmidt, ich sage, wann die Zeit für mich vorbei ist oder sie, wenn sie ihrerseits die Sitzung beenden wollen.«
»Okay, das ist ’n Deal.«
»Rufen sie bitte Frau Radow an, wenn sie eine weitere Sitzung wollen. Ich mache mir bis dahin meinerseits Gedanken.«
»Mach ich. Bis zum nächsten Mal.«
»Guten Tag, Herr Schmidt.«

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